Page 17 - vocaSTIM®-Master-Therapieanleitung
P. 17

NMEPS


          Die Therapiemethode basiert auf dem bekannten und erprobten  Identische Stromstärken von Dreieck- und Rechteckcharakteri-
          Verfahren der neuromuskulären Elektrostimulation (NMES nach  stik  zeigen eine Denervation an. Höhere Stromstärken bei Drei-
          EDEL). Kein Orthopäde oder Physiotherapeut bezweifelt die Effek-  eckstrom zeigen eine mehr oder weniger geschädigte Funktion
          tivität. Wissenschaftliche Veröffentlichungen füllen Regale. Grund-  des Nerven an. Damit wird auch die selektive Reizung beschä-
          lage ist die unterschiedliche nervale Reaktion auf Rechteck- und  digter Muskel-Nerv-Einheiten möglich.
          Dreieckstrom.
          Sie entspricht voll und ganz der Reaktion des Gehörs auf ein
          Knalltrauma und auf ansteigenden Lärm, wenn es sich auch nur  Das Verfahren ist jedoch für den Kehlkopf aufgrund antagoni-
          um Millisekunden handeln muss. Ein Knalltrauma trifft das Inne-  stischer Funktionen nicht ohne weiteres anwendbar. Es bedarf
          nohr schutzlos, ein ansteigender Lärm ermöglicht durch Ein-  unbedingt hierfür einer Modifikation. Sie erfolgt mit dem Ver-
          greifen des  ZNS eine reflektorische Schallbremsung über den  fahren der neuromuskulären elektrophonatorischen Stimulati-
          M.stapedius und damit den Schutz des Innenohres.    on unter folgenden Kriterien:
                                                              1.  Die Stimulation wird simultan peripher plus zentral durch
          Der Knall entspricht dem Rechteckstrom, der langsam anstei-  schädigungsspezifische stimmliche Leistungsanforderungen
          gende Lärm dem Dreieckstrom oder Exponentialstrom mit line-  vorgenommen.
          ar ansteigender Intensität. Periphere Muskulatur reagiert auf  2.  Die Funktion des vom N.recurrens innervierten M.vocalis und
          periphere Stromimpulse genau so wie auf zentrale, solange sie  M.posticus verhält sich antagonistisch zum vom N.laryngeus
          nicht atrophiert ist. d.h. paretische und nicht paretische Ein-  superior innervierten M. cricothyreoideus. Die Schließ-
          heiten zucken  auf Reizung mit Rechteckstrom bei gleicher Stro-  muskulatur der Glottis verhält sich antagonistisch zur Öff-
          mintensität.                                           nungsmuskulatur. Die obere Rahmenmuskulatur des Kehl-
          Bei Exponentialstrom mit Anstieg kann bei intaktem Nerv das  kopfes verhält sich antagonistisch zur unteren und zur Funk-
          Zentralnervensystem die Zuckung verzögern, die Beschädigung  tion des M.cricothyreoideus. Ein intakter Antagonist blockiert
          eines Nerven dagegen schränkt diese Schutzfunktion in Abhän-  aber die Regeneration seines geschädigten Agonisten bei
          gigkeit vom Ausmaß ein. Damit gilt: je stärker die Beschädi-  gleichzeitiger Stimulation. Der paretische Agonist würde
          gung, desto weniger Schutz, desto früher zuckt dieser Muskel  sofort ermüden oder könnte gar nicht erst aktiv werden. Das
          im Verhältnis zu einem Muskel mit intaktem Nerv.       lässt sich nur durch gezielte stimmliche Leistungsanforderun-
          Auf diese Weise lässt sich die Schwere der nervalen Beschädi-  gen vermeiden, die selektiv den geschädigten Muskel sti-
          gung durch Messung des Akkomodationsquotienten bestim-  muliert. Wahrscheinlich liegt hierin die Hauptursache für Mis-
          men.  Dieser ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der Strom-  serfolge der Reizstromtherapie von Larynxparesen.
          stärke bei Dreieckcharakteristik zur Rechteckcharakteristik, die  3.  Regeneration bedeutet eine ständige Veränderung der laryn-
          zu einer Minimalzuckung führt.                         gealen instrumentalen Bedingungen. Um diesen Prozess vor-
                                                                 anzutreiben müssen Stromcharakteristik und Stimmleistun-
            Dreieckcharakteristik                                gen kontinuierlich angepasst werden.
          α =
            Rechteckcharakteristik                            4.  Regeneration gibt sich durch stimmliche Merkmale und
                                                                 Anhebung des α-Wertes zu erkennen. Sorgfältige Kontrollen
                                                                 sind erforderlich.
                                                              5.  Eine Anpassung im Regenerationsverlauf erfordert auch die
                                                                 stimmliche Belastbarkeit. Das bedeutet Änderung der tägli-
                                         2                       chen Übungshäufigkeit und Übungsdauer. Die fehlende Gele-
                                                                 genheit zur täglich mehrmaligen Therapie dürfte einen wei-
                                         1                       teren wesentlichen Grund für bisherige Misserfolge abgeben.
                                                              6.  Außer der Stimme sind auch Räuspern, Husten und Atmen
                                                                 laryngeale Teilfunktionen mit enger Beziehung zur Sensorik.
                                                                 Es wäre ein Fehler, sie nicht zu stimulieren. Wahrscheinlich
                                                                 wirkt sich hierbei die Ansa Galeni besonders günstig aus.
                                                              7.  Die Sensoren lassen sich durch hart an der Empfindungs-
                                                                 schwelle liegende Reizstromintensitäten stimulieren. Hilfreich
                                                                 ist nicht so viel sondern so wenig Intensität als möglich.
          Abb. 22 Minimalzuckungen der vom N. recurrens innervierten  8.  Die Bewegung der Muskulatur durch Reizstrom hilft, die
          Muskulatur sind als Drehzuckungen an der Spitze des Proc. voca-  Ankylosierung der Aryknorpelgelenke in Form einer Gelenk-
          lis erkennbar (1). Die Reaktion des vom N. laryngeus superior  kapselfibrose zu vermeiden.
          innervierten M. cricotheyreoideus wirkt sich als Dehnungs-  9.  Neben dem Reizstrom muß in Abhängigkeit von individuellen
          zuckung auf das Lig. vocale aus (2). (PAHN)            Bedingungen die auditive Sensibilität durch Hörtraining
                                                                 gesteigert werden. Auditiv nicht erkannte stimmliche Merk-
                                                                 male und Symptome sind der Übung nicht zugänglich.
                                                              10. Stimmübungen ohne Reizstrom ab einer gewissen Stufe der
                                                                 Regeneration dienen schließlich dem Wiederaufbau der
                                                                 Kondition. Sowohl Unterforderung als auch Überforderung
                                                                 der stimmlichen Belastung wirken sich für die Regeneration
                                                                 verhängnisvoll aus.
          16
   12   13   14   15   16   17   18   19   20   21   22