Page 23 - vocaSTIM®-Master-Therapieanleitung
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NMEAS


          ■ Die Elektrostimulation muss täglich mehrmals erfolgen synchron  Zur häuslichen täglichen Übung eignen sich die CDs für die Paresen
           mit Artikulation und Schlucken. Letzteres sollte mit Reizstrom  des N. recurrens und N. laryngeus superior. Statt der Hauch- oder
           gekoppelt sein, solange Fehlschlucken auftritt, auch wenn es sich  Punkteinschwingphasen werden jetzt Explosiv-, Reibe- und Zisch-
           nur um Flüssigkeiten handelt. Jede bronchopulmonale Schädi-  laute verwendet. Im Falle gleichzeitiger Larynxparesen werden
           gung reduziert den Allgemeinzustand und damit die Chancen  diese CDs  natürlich auch in ursprünglicher Form benutzt. Es muß
           der Regeneration.                                  dem Therapeuten überlassen sein, welche Laute er wann einsetzt.
                                                              Die Variabilität der phasischen und dysarthrischen Ausfälle ist so
          ■ Dem N. vagus sollte mehr Beachtung zukommen. Er ist eng mit  groß, dass zu viele CDs  gebraucht würden, um alle Varianten zu
           allen Hirnnerven verbunden, die motorisch und sensorisch an der  bedienen.
           Artikulation mitwirken. Die direkte Schädigung seiner Sensoren  Jeder zu übende Konsonant sollte simultan mit der Stimulation
           im Bereich der am Sprechen beteiligten Muskulatur beein-  optisch als Schriftbild gezeigt werden. Mit den Übungen nimmt die
           trächtigt deren Funktion. Das betrifft den N. trigeminus  Häufigkeit der in einer Phonationsphase artikulierten Silben zu.
           (V), facialis (VII), glossopharyngeus (IX) und hypoglossus (XII).  Der Therapeut ist angehalten, diese Schriftbilder in Postkarten-
                                                              größe selbst herzustellen.
           Aber auch auf indirekt reflektorischem Wege sollte ein dysre-  Zur Stimulation des Schluckens wird die gleiche Stromcharakteri-
           gulierender Einfluss auf die Sprechfunktion einschließlich Stim-  stik benutzt, wie für die Artikulation. Dabei kann das Drücken der
           me zum Beispiel durch eine Tracheobronchitis, Oesophagitis,  Handtaste schwierig sein. Das betrifft beidseitige Paresen der Arme
           Gastritis oder anderer vagusgesteuerten und beschädigten inne-  oder einseitige, wenn der Patient mit dem beweglichen Arm Löf-
           ren Organe nicht ausgeschlossen werden. Es wäre ein Fehler, bei  fel, Gabel oder Tasse selbst halten und führen will. Dafür gibt es
           diesen Krankheitsbildern eine subtile Untersuchung auf Reflux  eine Fußtaste, sofern ein Bein funktioniert.
           zu unterlassen, auch wenn kein Sodbrennen vorliegt. Bei Versa-
           gen der Sensoren wird Sodbrennen nicht empfunden. Hinzu  Beim Eingeben der Übungszeiten auf die Chipkarte müssen die ver-
           kommt, dass Magensaft bei leichteren Störungen auch nur im  schiedenen Funktionsübungen, die hintereinander ablaufen sol-
           Schlaf bis in die oberen Luftwege gelangt. Nur wenige Patien-  len, addiert werden. Mit Durchströmung + Schlucken + Artikulati-
           ten wachen davon auf und gelangen zu einer Empfindung.  on können leicht 40 Minuten zusammenkommen. Es ist sinnvoll,
                                                              eine Zeitreserve einzuplanen.
          ■ Die Elektrostimulation zu Behandlungsbeginn einer motorischen
           Aphasie sollte mit Bewegungsübungen der Artikulationsmoto-
           rik gekoppelt werden, die nicht die Vorstellung wecken, zu arti-  Prinzipien der NMEAS
           kulieren. Auf diese Weise kann der physiologische Ablauf der  ■ Die Stimulation erfolgt synchron elektrisch + akustisch + optisch
           kindlichen Sprachentwicklung zum Aufbau einer neuen Regula-  + Leistungsabsicht des Patienten.
           tion hilfreich sein.                               ■ Bei einer Broca-Aphasie ist es anfangs sinnvoll, den Gedanken an
           Damit lassen sich zahlreiche Antagonismen des Artikulationsab-  das Sprechen zu vermeiden. Mit Bewegungen der Lippen, des Unter-
           laufs umgehen. Gleichzeitig werden minimale Muskelspannun-  kiefers, der Zunge und des weichen Gaumens wird gespielt. Dabei
           gen gefördert. Sie sind die Vorraussetzung für präzise und schnel-  können Konsonanten anklingen. Geübt werden kann mit und ohne
           le Artikulationsbewegungen.                          Stimme. Es erweist sich als vorteilhaft, diese Bewegungsmuster der
                                                                Lallperiode der Sprachentwicklung zu entnehmen.
          ■ NMEAS bedeutet nicht den Verzicht auf bisherige therapeu-  ■ Die Steigerung der Schwierigkeit dieser Übungen liegt in der
           tische Erkenntnisse zu diesen Krankheitsbildern (Böhme, Lutz).  Häufigkeit und Geschwindigkeit der Bewegungsabläufe auf eine
           Sie ergänzt die bekannten Verfahren durch Verkürzung der  Exspirationsphase.
           Regenerationszeit.                                 ■ Nächster Übungsschritt sind Silben (Konsonant + nachfolgender
                                                                Vokal). Diphtonge und Umlaute werden zunächst vermieden.
          Die praktische Durchführung der Elektrostimulation bei Artiku-  ■ Husten und Einatmen bleiben im Übungstakt
          lation richtet sich wie für Larynxparesen nach dem Schweregrad  ■ Gähnen und Lachen werden verbal und bildlich stimuliert
          der Schädigung. Dieser lässt sich mit Messung der Akkomodati-  ■ Im Hinblick auf intakte Sensoren gilt die größte Sorgfalt der
          on im oralen und facialen Bereich leichter feststellen als im  Dysphagie
          Larynx. Ein Endoskop ist überflüssig. Die Minimalzuckung ist hier  ■ Eine musikalische Bearbeitung aller Übungen kann sich emotio-
          in der Regel eher vom Patienten fühlbar als verdeckt durch Bin-  nal und sprachlich stimulierend auswirken. Die Mechanismen des
          degewebe, Haut und geringe Mundöffnung sichtbar. Sollte die  Gehirns zur Verarbeitung von Musik und Sprache sind teilweise
          Messung nicht möglich sein, lässt sich der Schädigungsgrad auch  identisch. Sprache kann neurophysiologisch als Musik und Musik
          an der Ermüdung der Muskulatur während der Übung grob ein-  als Sprache begriffen werden (KOELSCH). Die Übungen werden
          schätzen. Sie äußert sich in nachlassender Deutlichkeit der Arti-  anfangs rhythmisiert und dynamisiert, später melodisiert. Für
          kulation. Im Falle gleichzeitiger Larynxparesen werden diese  Patienten, die viel gesungen haben und deren Larynxfunktion
          Schemata zusätzlich benutzt. Räuspern und Einatmung bleiben  nicht beschädigt ist, kann eine Umkehrung der Reihenfolge
          zur Stimulation beschädigter Sensoren bestehen. Gähnen und  sinnvoll sein.
          Lachen werden außerhalb der elektrischen Reizung verbal und  ■ Im Hinblick auf emotionale Störungen darf keine Behandlungs-
          bildlich stimuliert, um alle für die Artikulation brauchbaren Bewe-  maßnahme ohne einen Erfolg, den auch der Patient zu erken-
          gungen und Spannungen dieser Muskulatur zu erhalten. Schließ-  nen vermag, beendet werden. D. h. sorgfältige Planung des Mög-
          lich können wir auch gähnend und lachend sprechen.    lichen. Hörtraining, Ton- und Videoaufnahmen spielen dafür eine
                                                                wichtige Rolle.
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